Schon lange trug ich den Wunsch in mir, mich im Tierschutz einzubringen – nicht „nur“ als Tierfreundin, sondern mit meiner fachlichen Kompetenz als Therapeutin. Es gibt viele großartige Ehrenamtliche, die Tiere retten und ihnen ein besseres Leben ermöglichen. Gleichzeitig steht fest: Es braucht zusätzlich Fachleute – Trainer, Tierärzte und Therapeuten –, die genau dort ansetzen, wo herkömmliches Engagement allein nicht ausreichen kann.

Besonders beschäftigen mich Hunde, die körperlich beeinträchtigt sind und deren Verhalten im Tierschutz zu einem Problem wird: also auch Hunde, die Aggressionen zeigen oder von tiefen Ängsten geprägt sind und deshalb kaum eine Chance auf Vermittlung haben. Ich verstehe Körper und Seele als Einheit. Verhalten entsteht nie im luftleeren Raum: Genetik spielt eine Rolle, Rassemerkmale spielen eine Rolle, traumatische Erfahrungen prägen – und ebenso die körperliche Gesundheit, die beeinflussbar ist. Gerade im Tierschutz fehlen jedoch die Kapazitäten, jeden einzelnen Hund wirklich ganzheitlich zu sehen. 

Im Sommer 2024 lernte ich einen Tierschutzverein kennen, der sich für meine Arbeit interessierte. Ich bereitete einen Vortrag über die ganzheitliche Unterstützung von Hunden im Tierschutz vor und hielt ihn am 21. August 2024 zum ersten Mal.

An diesem Abend veränderte sich für mich alles. Während des Webinars erhielt eines der Vereinsmitglieder eine Nachricht: Jemand wollte seinen Hund abgeben – einen nur neun Wochen alten Rottweilerwelpen. Im Verein wurde beraten, ob und wie man helfen konnte. Es gab jedoch keine kurzfristigen freien Pflegestellen, und in NRW stehen Rottweiler auf der Rasseliste – die Situation war entsprechend schwierig. Ich entschloss mich spontan, den Welpen als Pflegestelle aufzunehmen.

Am nächsten Tag fuhr ich zu den Leuten, die ihn abgeben wollten. Auf einem Parkplatz drückten sie mir eine kleine Plastikkiste in die Hand – darin ein paar Spielsachen, billiges Trockenfutter, ein Impfausweis und dazu den Welpen. Die Geschichte, die man mir zu ihm erzählte, war voller Widersprüche. Ich nahm den kleinen Rüden mit nach Hause. Er bekam den Namen Riko.

Noch am selben Abend bekam Riko starken blutigen Durchfall. Er war untertemperiert und so schwach, dass er die ersten Tage bei mir unter einer Rotlichtlampe lag. Ich päppelte ihn auf und suchte nach der Ursache für das Blut. Sehr bald danach fiel ein Zittern in den Vorderläufen auf, das mich zusätzlich alarmierte.

Gleichzeitig gab es direkt Interessenten, die ihn sofort übernehmen wollten – unter anderem eine Familie ohne Hundeerfahrung, die ihn am liebsten zwei Tage nach seiner Ankunft bei mir abgeholt hätte. Doch in diesem Zustand konnte und wollte ich ihn nicht abgeben. Mir war klar: Riko braucht Stabilität, medizinische Abklärung und gezielte Betreuung, bevor überhaupt an Vermittlung zu denken ist.

Wie herausfordernd Rikos Start wirklich war, zeigte sich am zweiten Abend bei uns: Ich fütterte meine Hunde, wischte den Rand eines Napfes mit einem Tuch ab und brachte dieses in unser Badezimmer. Riko tapste mir hinterher, fand das Tuch – und als ich es ihm abnehmen wollte, griff er mich mit einer Aggressivität an, die ich bei einem Welpen noch nie erlebt hatte. So süß und klein er war, Riko zeigte von Anfang an eine ausgeprägte Futteraggression.

Ich besprach mich mit dem Tierschutzverein, und wir waren uns einig: Riko darf auf keinen Fall in die interessierte Familie ziehen. Unser Plan: Ich stabilisiere ihn gesundheitlich, und wir suchen parallel ein geeignetes Zuhause – oder eine Stelle, an der mit ihm fachlich gearbeitet werden kann. In den Tagen und Wochen darauf päppelte ich ihn weiter auf und begann gleichzeitig, mich intensiv mit seinem Verhalten auseinanderzusetzen. Die massiven Aggressionen waren für mich neu und in dieser Form beeindruckend.

Ich begann, nach Trainern zu suchen, die ihn übernehmen oder mit uns zusammenarbeiten könnten. So lernte ich Angelika von Führungsstark kennen. Zunächst wollte ich ihr Riko regelrecht „andrehen“, doch sie wollte ihn nicht übernehmen. Stattdessen kam sie vorbei, um ihn anzuschauen, und wir suchten gemeinsam nach einer Lösung. Angelika hat große Erfahrung mit der Rasse und genau diesem Typ Hund; einige ihrer Einschätzungen und Prophezeiungen trafen später tatsächlich ein. Wir waren uns einig: Riko konnte auf Dauer nicht einfach so bei mir bleiben. Gleichzeitig verschlimmerten sich seine gesundheitlichen Probleme: Die Durchfälle hielten an, das Zittern wurde stärker und er war außerdem viel zu klein und zu leicht für einen Rüden seiner Rasse.
Auch wenn ich ihn gerne einfach nur verhätschelt hätte, war das für diesen Hund, mit diesem Verhalten keine Option. Ich gewöhnte ihn schon als Welpen an den Maulkorb und wir fingen an zu managen, zu organisieren und sichere Bereiche zu schaffen.

Offiziell war Riko in dieser Zeit weiterhin auf meiner Pflegestelle, aber es wurde akribisch nach einem Zuhause gesucht. Es gab sehr viele Anfragen: Er war so klein, so niedlich – viele Menschen verliebten sich auf den ersten Blick. Wir schilderten offen, dass Riko Futteraggressionen mitbringen würde. Dennoch wurde dieses Problem oft nicht verstanden oder bagatellisiert. Ich führte unzählige Telefonate, erklärte und wiederholte. Unterstützung bekam ich außerdem von den „Rottweiler Freunden Deutschland„, die sich mit viel Sachverstand in die Suche nach einem passenden Platz einbrachten.

In mir selbst wuchs allerdings eine Ambivalenz: Sollte ich ihn einfach behalten? Wir gingen bereits zur Hundeschule, Riko gehörte längst zu meinem Alltag und auch zu mir. Gleichzeitig war mir die ganze Zeit klar: Seine Gesundheit würde ein Dauerthema bleiben. Ganz gleich, wie sehr ich mich engagierte und welche Maßnahmen ich ergriff – Riko würde vermutlich dauerhaft gesundheitliche Probleme haben. Das Budget des Tierschutzvereins ließ keine weiteren Untersuchungen zu und auch die steuerfreie Zeit von 8 Wochen für einen Hund auf einer Pflegestelle endete. Nach einigen schlaflosen Nächten und vielen Überlegungen entschied ich mich Riko zu adoptieren.

In den folgenden Monaten stellte ich Riko mehreren Tierärzten vor, sprach mit vielen Therapeutenkolleginnen und -kollegen, ließ zahlreiche Laboruntersuchungen durchführen, probierte befundbasiert viele Therapieansätze aus. Immer wieder gab es kurzzeitige Besserungen, aber keine nachhaltige Wende. Mit den „schlechten Phasen“ seines gesundheitlichen Zustandes, war auch sein Verhalten deutlich auffälliger. In „guten Phasen“ war Riko ein toller Hund. Gelehrig und ausgeglichen. Er fasste Vertrauen und konnte es zeitweise sogar genießen zu kuscheln – trotz das er vermutlich niemals erfahren durfte wie es sich anfühlt „richtig gesund“ zu sein. Wir taten alles, was möglich war. Was wir erreicht haben: Riko durfte ein Jahr an meiner Seite sein. Viel lernen, Freude erleben und geliebt werden. Ohne all das, was wir unternommen haben, hätte er diese Zeit wohl weder qualitativ, noch quantitativ gehabt.

Mit einem Jahr und 2 Monaten ist Riko verstorben.
Sein viel zu kurzes Leben hat mir jedoch eine klare Aufgabe hinterlassen: Sein Erbe ist die R.I.K.O. Tierhilfe. Aus all den Erfahrungen vor allem rund um ihn – gesundheitlich wie verhaltenstechnisch – und auch von anderen Hunden mit denen ich bereits arbeiten durfte, ist meine Entscheidung gereift, mein Wissen und Können gezielt für Tiere einzusetzen, die kein Zuhause haben, krank sind und/ oder Verhaltensauffälligkeiten zeigen, die in engem Zusammenhang mit ihrer körperlichen Gesundheit stehen. Gemeinsam mit Trainern und Tierärzten möchte ich Hunden in Tierheimen, auf Pflegestellen oder in Trainingscamps ganzheitlich helfen – damit sie mehr Lebensqualität bekommen und im Optimalfall vermittlungsfähiger werden.